Sehr geehrter Herr Sonnabend,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 21. Juni 2020.
Sie wenden sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, weil Sie erfahren haben, dass Ihnen bei fehlendem Mundschutz der Zutritt zu Geschäften oder die Nutzung von Busen untersagt werden kann, obwohl Sie ein ärztliches Attest haben, wonach Sie aus gesundheitlichen Gründen vom Tragen der Schutzmaske befreit sind. Sie fragen sich nun, was Sie tun können, wenn Sie trotz Attest nicht in einem Laden reingelassen werden.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes unterstützt Menschen, die sich wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt sehen. Wir informieren über Ansprüche und wie Betroffene gegen solche Benachteiligungen vorgehen können. Unsere Beratung kann eine ausführliche und persönliche Rechtsberatung nicht ersetzen, sondern ist vor allem dafür gedacht, Ihnen eine erste rechtliche Einschätzung zu ermöglichen.
Grundsätzlich sind Betreiber im Groß- und Einzelhandel aufgrund des Hausrechtes, unabhängig davon, ob die Entscheidung im Bereich privater Dienstgestaltung, oder im Bereich einer unternehmerischen Entscheidung trifft, grundsätzlich frei in der Entscheidung, ob und in welchem Umfang Dritten Zugang zu den Räumen gestattet wird. Eine solche generelle Zutrittsbeschränkung muss in der Regel nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein (LG Hannover, Urteil vom 23. Januar 2013 – 6 O 115/12, Rn. 25). Die Ausübung des Hausrechts ist allerdings nur innerhalb der vom AGG gesetzten Grenzen zulässig.
Das AGG verbietet behinderungsbezogene Benachteiligungen beim Zugang zu Geschäften des Einzelhandels. Voraussetzung ist allerdings, dass eine Benachteiligung auf Grund einer Behinderung vorliegt.
Ein Diskriminierungsschutz auf Grund von Krankheiten besteht nach dem AGG hingegen nicht . Allerdings können bestimmte Krankheiten eine Behinderung im Sinne des AGG sein. Maßgeblich ist der Behinderungsbegriff der UN Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Dieser setzt gemäß Art. 1 Absatz 2 voraus, dass es sich um langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen handelt, welche in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Beispielsweise kann eine chronische Erkrankung nach der genannten Definition als Behinderung anzusehen sein, insbesondere dann, wenn die Erkrankung seit mindestens 6 Monaten andauert und zu konkreten Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben führt.
Im Zusammenhang mit dem Mund-Nasen-Schutz können Sie sich auf das AGG berufen, wenn Ihre Erkrankung unter den erläuterten Behinderungsbegriff fällt.
Das AGG verbietet unmittelbare sowie mittelbare Benachteiligungen. Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine scheinbar neutrale Vorschrift Personen wegen eines verbotenem Diskriminierungsgrundes in besonderer Weise benachteiligt, ohne dass sich dies durch ein rechtmäßiges Ziel rechtfertigen lässt. Verlangt ein Geschäft von allen Kunden/Kundinnen einen Mundschutz zu tragen, wirkt sich diese Vorgabe nachteilig auf Kunden/Kundinnen mit einer Behinderung aus, da insbesondere Menschen mit einer Behinderung daran gehindert sein können einen Mundschutz zu tragen. Vorliegend kommt daher grundsätzlich eine mittelbare Benachteiligung auf Grund einer Behinderung in Betracht. Eine solche Benachteiligung ist nur dann zulässig, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Unzweifelhaft dürfte die Maskenpflicht mit dem heutigen Kenntnisstand ein sachliches Ziel verfolgen. Die Maskenpflicht dient dem Schutz vor Neuinfektionen der Kunden/Kundinnen, des Betreibers und der Beschäftigten, sowie der Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus. Die Maskenpflicht stellt zwar keine nachgewiesene Schutzfunktion für die Trägerin oder den Träger selbst dar, kann bei einer Infektion aber dazu beitragen, das Virus nicht an andere Menschen weiterzugeben (Merkblatt der BZgA vom 4.5.2020 zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen). Die Maskenpflicht ist auch erforderlich zur Erreichung des Ziels, da diese die Abstandsregelung beim Einkaufen ergänzt. Zusätzlich ist das Infektionsrisiko nach dem heutigen Stand in geschlossenen Räumen größer, als im Freien.
Das Verhältnis zwischen dem verfolgten Ziel und den eingesetzten Mitteln muss allerdings angemessen sein. Bei der Prüfung der Angemessenheit der generellen Maskenpflicht sind die auf der Seite des Betreibers betroffenen Interessen, die allgemeine Handlungsfreiheit in Form der Privatautonomie, das Schutzinteresse der Beschäftigten und der anderen Kunden/Kundinnen gegen das in Art. 3 Absatz 3 Satz 2 GG geschützte Recht , nicht wegen einer Behinderung benachteiligt zu werden, gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Januar 2020 – 2 BvR 1005/18, Rn. 43). Diese Abwägung ist im Einzelfall zu treffen. Hier wird man je nach Situation zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Wenn es sich um ein kleines Geschäft handelt und das Verkaufspersonal zur Risikogruppe gehört, erscheint es eher angemessen, keine Ausnahme von der Pflicht zum Mund-Nasen-Bedeckung zuzulassen. Der Umstand, dass eine Landesverordnung Einzelne von der Maskenpflicht befreit, um Menschen mit Behinderungen nicht von der Teilhabe im öffentlichen Leben auszuschließen, spricht allerdings in der Tendenz gegen die Angemessenheit einer ausnahmslosen Durchsetzung der Maskenpflicht in jedenfalls großen Ladengeschäften.
Ist die uneingeschränkte Pflicht eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen ohne Berücksichtigung von Ausnahmen für Menschen, die behinderungsbeding keinen Mundschutz tragen können, im konkreten Fall sachlich nicht gerechtfertigt, können die betroffenen Personen wegen eines Verstoßes gegen das AGG verschiedene Ansprüche geltend machen. Gemäß § 21 Absatz 1 AGG besteht ein Anspruch, dass künftige Benachteiligungen unterlassen werden. Gemäß § 21 Absatz 2 AGG können darüber hinaus Ansprüche auf Schadensersatz- und /oder Entschädigung geltend gemacht werden. Ansprüche auf Schadensersatzes erfassen insbesondere finanzielle Einbußen, die durch die Diskriminierung verursacht wurden. Eine Entschädigung ist demgegenüber eine Art Schmerzensgeld für die mit der Diskriminierung verbundene Persönlichkeitsrechtsverletzung. Die genannten Ansprüche müssten innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich gegenüber dem Geschäft geltend gemacht werden. Die Frist beginnt mit Kenntnis von der Benachteiligung zu laufen. Nach Fristablauf erlöschen die Ansprüche.
Um jenseits des Rechtswegs eine Verbesserung für die Betroffenen zu erreichen, hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bereits Kontakt zu verschiedenen Unternehmen aufgenommen. Wir arbeiten darauf hin, dass der Einzelhandel stärker für die Problematik sensibilisiert ist und differenzierte Regelungen bezüglich des Mundes-Nasen-Schutzes trifft.
Wir hoffen, Ihnen helfen die Hinweise weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Isabella Kluge
Referentin