Abschaffung des Geldes

Diese Abhandlung wird im Laufe des Jahres 2006 als Beitrag erscheinen in: R. Heinz und Jochen Hörisch (Hg.), Geld und Geltung. Zu Alfred Sohn-Rethels sozialistischer Erkenntnislehre, ( Verlag Könighausen & Neumann, 144 Seiten, ca. 24,80 Euro.

Abschaffung des Geldes
von Eske Bockelmann

Als ich mit gut fünf Jahren erfuhr, ich würde später einmal - wie jeder - mein Geld selbst verdienen müssen, da durchzuckte mich als böse Gewissheit, erstens, das könne nicht gelingen, und zweitens, ich müsse deshalb zaubern lernen. Anders nämlich, so war mir bedrückend klar, würde ich es niemals zu all den Dingen bringen, die man so zum Leben braucht. Einen Beruf zu haben und dafür vieles können zu müssen, was ich jetzt noch nicht konnte, das war mir wohl vorstellbar. Aber dass davon die Zuteilung jenes immerfremden Stoffes abhängen sollte, der irgendwie von außen kam, offenbar noch über den Eltern stand und über ihren Berufen, und dass von diesem Stoff wiederum unmittelbar mein eigenes Überleben abhinge, das klang mir auf eine Weise bedrohlich, dass ich mich auf die Zauberei verwiesen sah. Natürlich, meines Wissens bestand wenig Aussicht, sie zu erlernen, doch da meine Absichten ohnehin nur auf alltägliche Dinge wie Essen und Wohnen gingen und wenn ich mich also darauf beschränkte, nur dieses Wenige und nicht gleich alles zaubern zu können...

Ich habe es bis heute nicht gelernt. Und so hob ich denn damals meine Hand, als endlich einmal die Frage erging: "...oder würde einer von Ihnen das Geld abschaffen wollen?" Das war zum Abschluss der Alfred-Sohn-Rethel-Konferenz, ich saß für die Diskussion unter den Referenten auf dem Podium, und Jochen Hörisch fasste gerade zusammen: Bei aller Kritik, die Sohn-Rethel auf das Geld und den Warentausch gewendet habe, bekanntlich "zur kritischen Liquidierung des Apriorismus", sei er zugleich ein großer Bewunderer des Geldes gewesen. Daher sollten auch wir unsere Konferenz nicht stur kritisch gegenüber dem Geld beschließen, sondern zugleich dessen enorme Leistungen hochachten - laut Sohn-Rethel immerhin die Schaffung der rationalen Denkformen, die gesamtgesellschaftliche Synthesis, die heute über das Geld laufe, oder etwa das geradezu unerschöpfliche Reservoir an Metaphorik, um welches es die Sprache bereichert habe. Dem Geld müsse, das sollten wir uns eingestehen, recht eigentlich tiefe Bewunderung gelten - "oder würde einer von Ihnen das Geld abschaffen wollen?"

Ja - ich habe die Hand gehoben: Wenn es nach mir ginge, würde es abgeschafft. Aber siehe da, ich blickte um mich und sah niemanden sonst, der die Hand hob, meine Hand war die einzige geblieben, die sich nach oben streckte, und niemand also hegte außer mir den Wunsch und den Gedanken, es sollte einmal ohne Geld gehen. Das erstaunte mich, und ich stellte mir damals die Frage, ob Sohn-Rethels Einsichten tatsächlich weniger dazu drängten, dem Geld ein Ende zu wünschen, als dass sie eine Erklärung dafür liefern, weshalb dies durchaus niemand wünscht.

1. Es geht nicht gut mit dem Geld
Geht es denn so gut mit dem Geld? Nein, es geht nicht gut damit. Das Gröbste, was sich dazu sagen lässt, heißt zwar, dass es einem Teil der Menschen zu Wohlhabenheit und Reichtum verhilft, doch bekanntlich nur einem stets sehr kleinen Teil der Menschen, während der weitaus größere - und zwar in Folge jenes Reichtums - gequält wird, darbt und verhungert. Ist das die Schuld des Geldes? Ja, es ist seine Schuld, und zwar insofern, als Geld die allererste und allgemeinste Grundlage genau der gesellschaftlichen Verhältnisse bildet, die heute weltweit durchgesetzt sind, die diese Art von Zweiteilung der Menschheit bedingen und sie zu Lasten des zunehmend größeren Teiles immer weiter noch verschärfen.

Das ist nicht so zu verstehen, als hätte es vor den Zeiten des Geldes kein Darben, keine Qual und keine Gewalt gegeben. Und noch ein anderes Missverständnis gälte es zu vermeiden, welches Sohn-Rethel so lange gepflegt hat, nämlich dass mit der ersten Prägung von Münzen, also zu frühen Zeiten der griechischen Antike, das Geld bereits den nexus rerum gebildet, das heißt bereits die Kraft erlangt hätte, die innergesellschaftliche Synthesis zu leisten - und damit auch jene Wirkungen zu zeitigen, die ich meine. Dazu kommt es erst mit Anbruch der europäischen Neuzeit, ja, der Übergang zur Geld-Wirtschaft im Verlauf des so genannten ,langen' 16. Jahrhunderts ist geradezu der Beginn dieser Neuzeit. Vorher gibt es wohl Geld, also Warentausch und Warenproduktion, aber, wie Sohn-Rethel unschwer hätte nachlesen können: "Warenproduktion und Warenzirkulation können stattfinden, obgleich die weit überwiegende Produktenmasse, unmittelbar auf den Selbstbedarf gerichtet, sich nicht in Ware verwandelt, der gesellschaftliche Produktionsprozess also noch lange nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe vom Tauschwert beherrscht ist."1 Und also nicht vom Geld. Spät erst, und zu spät, um diese Einsicht noch tief genug in seine Konstruktion von "Warenform und Denkform" einfügen zu können - ach, Herr Horkheimer, was haben Sie da alles verhindert! -, erkennt Sohn-Rethel: "Meine damalige Lesart der antiken Gesellschafts- und Ausbeutungsordnung war verfehlt", es "krankt die Konstruktion daran, dass die Denkweise der Antike nach dem Modell der europäischen verstanden, also missverstanden ist",2 und zwar die "Denkweise", weil die Gesellschaftsordnung. Erst in der neuzeitlich europäischen beginnt das Geld die gesamte Gesellschaft zu durchdringen und die Versorgung der Menschen mitsamt ihrer Verbindung bestimmend von sich abhängig zu machen. Und damit erst schafft es die historisch sehr spezifischen Verhältnisse, von denen ich spreche und die spätestens heute erkennen lassen, dass es, trotz Reichum und unvorstellbar gesteigerter Produktivkräfte, grundsätzlich nicht gut mit ihnen geht.

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